Published in: Musik Aktuell. SWR. April 2011
Kara Karaev Festival in Baku
T.Rexroth
KB1 Emil Mirsoev Fayum Portraits
21 Jahre liegen zwischen dem letzten, dem dritten und dem diesjährigen vierten Festival für neue Musik in der Aserbaidschanischen Hauptstadt Baku. 1986 wurde es gegründet und benannt nach dem Namen des großen aserbaidschanischen Komponisten des 20. Jahrhundert Kara Karaev benannt. Vier Jahre zuvor war Kara Karaev gestorben.
Das Leben in Aserbaidschan nach diesen 21 Jahren hat sich sehr geändert. Nach der Unabhängigkeit von Russland im Jahre 1991 ist das Land bis heute immer auf der Suche nach seiner eigenen Identität, seiner Sprache und seinem kulturellen Erbe.
Vor diesem Hintergrund gewinnt die Wiedergeburt des Karajev-Festival eine ganz besondere Bedeutung.
Kara Karaev, der Nestor der Neue Musik in Aserbaidschan, ein Schüler von Dmitri Schostakowitsch und mit diesem des „Formalismus“ bezichtigt, entwickelte als Künstler und Pädagoge eine beispielhafte Produktivität, die dann Ende der 80er Jahre, in Verbindung mit der Aufbrechung und dann Auflösung des Sowjetimperiums, auch Früchte trug: es kam zur deutlichen Artikulationen einer Neuen Musik, die idiomatisch eine eigene Ästhetik und eine eigene Vorstellung von musikalischer Sprache erkennen ließ.
„In der Musik habe ich mich gnadenlos selbst gebrochen“ - sagte Kara Karajev von sich; und dies erklärt seinen Weg von der traditionellen Formensprache über Polytonalität, Impressionismus, Neoklassizismus, Jazz bis hin zur Dodekaphonie in seiner 3.Symphonie von 1964 oder dem Violinkonzert von 1967, das im Abschluss-Konzert des Festivals zu hören war.
In diesem Abschlusskonzert waren ausschließlich Violinkonzerte zu hören: das Violinkonzert von Alban Berg, das von Kara Karaev und schließlich das seines Sohnes Faradsch Karajev. Im Vorfeld des Konzerts erschien das fast unzumutbar für das Publikum. Aber das staatliche Symphonie Orchester unter der Leitung seinen Chef-Dirigenten Rauf Abduljev und die fulminanante Geigerin Patrizia Kopatschinskaja als Solistin haben den Konzertverlauf wie einen grossen lyrischen Zyklus gestaltet — mit Bergs Konzert in der Mitte, als Inspirationsquelle der beiden Karajevs zu Beginn und am Ende des Konzerts.
Das Konzert von Faradsch Karajev, geschrieben 2003, erlebte seine aserbaidschanische Erstaufführung und wurde von seinen Landsleuten richtig gefeiert. Unverkennbar sind der Alban Berg-Ton, der harte, hilflos irrende und verbittert klingende Virtuosengestus des Mittelsatzes und schließlich der reminiszierende Abgesang des 3.Satzes aus diesem Konzert, das Karaev dem Andenken seiner Mutter gewidmet hat.
Hier ein Ausschnitt daraus:
KB 2 F. Karajev Violin-konzert
Man könnte Faradsch Karejev als abstrakten Konzeptualisten bezeichnen, äußerlich gesehen von starker Affinität zur west-europäischen Musikkultur geleitet. Aber seine Musik zeichnet ein eigenartiges Zeitgefühl und entsprechend ein besonderer gestalterischer Umgang mit Verlaufs - und Zeitdimensionen aus, was ihn deutlich absetzt gegenüber den westeuropäischen Haltungen.
Dieser Aspekt ist übrigens auch charakteristisch für jüngere aserbaidschanische Komponisten, wie z.B. Emil Mirsoev in seinem Stück “Lìdentification dela vengeance dÉurydice“ also „Die Rache der verzweifelten Eurydice“. Für die Uraufführung dieses Werkes hat das Freiburger Percussion Ensemble unter Bernhard Wulff gesorgt, dessen Programm überaus vielfarbig war und mit einer so witzigen Nummer wie „Voulez-vous du feu“ von dem Franzosen Emmanuel Sejourne oder mit „Clash music“ von Nikolaus A. Huber auch spannende und dabei geistreiche Unterhaltung bot.
Das zweite deutsche Ensemble „ Ascolta“ kam aus Dresden und zeigte sehr spezielle, in Aserbaidschan völlig unbekannte, hierzulande freilich geradezu klassische Stummfilme wie Entr`acte von Rene Clair oder der „Anadalusische Hund“ von Bunuel und Dali, die mit Live-Musik von Erik Satie, Martin Smolka und Johannes Brahms dargeboten wurden.
Erstaunlich ist das Interesse an Karlheinz Stockhausen in Aserbaidschan. Das zeigte sich auch in der Programmatik des Festivals, sowohl in Vorträgen als auch in dem Solo-Abend der georgischen Pianistin Nino Jvania, die Stockhausen Klavierstück XIII, den „Traum des Luzifer“ aufführte.
Das gesamte Programm dieses einwöchigen Festivals bot einen gewissen, für das einheimische Publikum überaus informativen Überblick über die Musik des 20. Jahrhundert: von Schönberg, Berg und Webern über Messiaen, Lutoslawski, Stockhausen, Ligeti und Takemitsu bis hin zu jüngeren aserbaidschanischen Komponisten. Oft greifen diese zu orientalischen Elementen aus den musikalischen Traditionen ihres Landes, wie im Falle der “Karabach-Ballade“ von Vasif Allahverdiyev oder „Erwartung“ von Rufet Chalilov — ein großartiges Improvisationswerk für solo Tar (Folksinstrument). Die Werke dieser Komponisten atmen den Geist und die Sinnlichkeit des Mugham, einen alten Musikgattung, die auf Improvisation beruht.
Hier ein Ausschnitt aus dem Werk „ Starvation“ des dreißigjährigen Firudin Allahverdi — ein Komponist, von dem noch einiges zu erwarten ist.